Wie wird die Zukunft des Einzelhandels auf Reisen aussehen?
Digitalisierung, intelligente Infrastrukturen und nahtlose Prozesse: Der Reiseeinzelhandelsmarkt verändert sich grundlegend.
Neue Angebote und Akteure drängen auf den Markt und zwingen Fluggesellschaften, Flughäfen und Flughafeneinzelhändler, ihre derzeitigen Strukturen und Strategien zu überdenken. Da die Umsätze im Einzelhandel ständig steigen, wollen alle Beteiligten ein Stück vom Kuchen abbekommen.
Wie sieht die Zukunft des Einzelhandels in Flughäfen, an Bord und beim Online-Shopping aus? Welche Schritte müssen unternommen werden, um Reisende heute und in Zukunft anzuziehen, und was muss getan werden, um erfolgreich am wachsenden Einzelhandelsmarkt teilzunehmen?
Der Wandel des Reiseeinzelhandelsmarktes ist in vollem Gange und zeigt bereits messbare Erfolge.
Von einer Multikanalpräsenz und der Ausschöpfung seines vollen Potenzials ist er jedoch noch weit entfernt. Pforten und Lounges werden nicht für den Einzelhandel genutzt. Nur wenige Flughäfen verfügen über nutzerorientierte Online- und Mobile-App-Angebote. Auch der Bordunterhaltungsbildschirm ist nicht für den Einzelhandel optimiert und es gibt kaum personalisierte Angebote.
Fluggesellschaften wollen wie Amazon verkaufen
(fvw, Okt. 2015)
Die Fluggesellschaften haben ehrgeizige Ziele und verfügen über gute Voraussetzungen, um auf dem wachsenden Einzelhandelsmarkt eine wichtige Rolle zu spielen. Sie verfügen über die reisebezogenen Kundendaten, sind seriöse Absender, profitieren von bestehenden Anbieterbeziehungen und können den Inhalt der Bildschirme an ihrem Sitzplatz bestimmen.
Fluggesellschaften nutzen ihre Vorteile bereits, indem sie das Internet an Bord ausbauen, vorhandene Kundendaten nutzen, um individualisierte Angebote pro Passagiercluster bereitzustellen und kundenorientierte Prozesse wie neue Bezahlmethoden sowie zahlreiche Zustelloptionen etablieren. Aber all diese Aktivitäten befinden sich noch in einem frühen Stadium und sind weit davon entfernt, wie Amazon zu verkaufen.
Eurowings, die Low-Cost-Tochter der Lufthansa, hat auf der ITB 2017 in Berlin ihr Programm „Wings Connect“ vorgestellt. Bis Ende des Jahres werden alle 110 Flugzeuge mit Internet an Bord ausgestattet sein. Die Passagiere können während des Fluges mit ihren eigenen Geräten online gehen und Streaming-Dienste nutzen. Zur Digitalisierungsstrategie gehört auch „Wingsshoppen“, ein Online-Shop, in dem Passagiere verschiedene Waren kaufen können.
Zum Einkaufen ist jedoch ein gültiges Flugticket erforderlich, die Waren können nur 90 Tage vor dem Flug gekauft werden und der Versand nach Hause dauert drei bis vier Werktage. Vorbild für den „Wingsshoppen“ war der „Airshoppen“ von Condor. Die Kunden können online Waren bestellen, die dann während des Fluges an den Fluggast geliefert werden.
Im vergangenen Jahr schloss die TUI Group einen Fünfjahresvertrag mit „Gate Retail Onboard“, einem Unternehmen, das sich ausschließlich auf den Einzelhandel an Bord konzentriert. Der Vertrag umfasst den Verkauf von Speisen und Getränken an Bord, zollfreie Waren und vorbestellte Einzelhandelswaren.
Durch die Bündelung von Leistungen erhalten unsere Passagiere einen besseren Service an Bord, wir erwirtschaften zusätzlichen Gewinn für den Konzern und machen die TUI zu einem der größten Bordverkaufsunternehmen in der Reisebranche.
(Henrik Homann, ehemaliger Geschäftsführer Luftfahrt der TUI Group)
Die TUI Group erwartet durch die Kooperation mit „Gate Retail Onboard“ und die Einführung des Pre-Order-Retail innerhalb der nächsten 5 Jahre eine Steigerung des Umsatzes an Bord um 25%.
„Gate Retail Onboard“ hat auch eine mobile App entwickelt, die Flugbegleiter dazu motivieren soll, mehr Verkäufe an Bord zu tätigen. Neue Bezahlmethoden werden eingeführt: Die US-amerikanische Billigfluggesellschaft Jet Blue hat kürzlich Apple Pay als neue Zahlungsmethode an Bord eingeführt, die Zahlungen mit der Apple Watch ermöglicht.
Fluggesellschaften und Dienstleistungspartner versuchen, mit der Digitalisierung Schritt zu halten. Aber ist der jüngste Vorstoß der Fluggesellschaften ausreichend? Oder werden die fehlende Retail-Kompetenz, das traditionelle Meilen-basierte Geschäftsmodell und die Entwicklung einer kundenorientierten, hochmodernen Fulfillment-Struktur die Fluggesellschaften überfordern?
Doch auch wenn die Entwicklung eines modernen Einzelhandelskonzepts für Fluggesellschaften noch nicht durchdacht scheint, hat es das Potenzial, die stationären Flughafenshops nicht nur zu beeinflussen, sondern auch erhebliche Nachfrage abzuziehen. Da die Flughäfen einen Teil der Einnahmen aus den Flughafenshops erhalten, arbeiten sowohl Shopbetreiber als auch Flughäfen an einer Digitalisierungsstrategie, um den Kampf um die Kaufkraft der Passagiere zu gewinnen.
Die meisten europäischen Flughäfen haben in den letzten Jahren ihr Geschäftsmodell neu erfunden.
Flughäfen erwirtschaften immer mehr direkte Einnahmen mit den Fluggästen über Einzelhandel, Gastronomie und Dienstleistungen wie Parkhäuser. Aber das Geschäftsmodell der Flughäfen ändert sich ständig: Carsharing-Optionen werden die Nachfrage nach Parkplätzen verringern und automatisierte Abfertigungssysteme werden die Abfertigungsbereiche überflüssig machen. Die Einnahmen aus Übernahme-, Anlande- und Bearbeitungsgebühren werden sinken. Dieser Trend lässt sich am Beispiel der Billigfluglinie Ryanair deutlich erkennen, die z. B. am Frankfurter Flughafen um 50 % niedrigere Gebühren als ihre traditionellen Wettbewerber erhebt.
Einige Flughäfen und Flughafeneinzelhändler passen ihr Geschäftsmodell bereits an die neuen Gegebenheiten an, indem sie eigene Kundenbindungsprogramme auflegen und virtuelle Läden einrichten, um Kundendaten zu sammeln und zu analysieren. Während die Fluggesellschaften ihre Kunden bereits durch das Buchungsverhalten kennen, reichen die Kundendaten, die Flughäfen und Flughafenhändler haben, für eine individualisierte Kundenansprache nicht aus, so dass das Kundenbindungsprogramm ein notwendiger Schritt für die weitere Digitalisierung, Personalisierung und einen nahtlosen Multichannel-Auftritt ist.
Fraport verfeinert seine digitale Strategie durch den Relaunch der Flughafen-App, die in Kooperation mit den stationären Flughafenshops In-App-Shopping ermöglicht. Die digitale Vorbestellung, die Lieferung an den Abflugort und die Lieferung nach Hause mit personalisierten Angeboten und Rabatten sollen ebenfalls eingeführt werden. Realisiert wird die digitale Einkaufsplattform durch ein Joint Venture von Fraport und dem Flughafeneinzelhändler Gebr. Köhler. Heinemann.
Das Joint Venture ermöglicht es uns, gemeinsam auf die künftige Entwicklung des internationalen Reiseeinzelhandelsmarktes und die sich ändernden Anforderungen der Reisenden, insbesondere im Bereich des E-Commerce, zu reagieren.
(Raoul Spanger, Geschäftsführer Handel und Personal Gebr. Heinemann)
Fraport profitiert von dem Joint Venture durch die Sicherung einer langfristigen Beteiligung an Gebr. Köhler. Heinemann-Verkauf und durch die Steigerung der Attraktivität des Frankfurter Flughafens, um den Verlust von Passagieren an andere internationale Drehkreuze zu verhindern. Gebr. Heinemann profitiert von einem früheren Kundenkontakt mit dem Ziel, Kunden nicht an die Bordverkaufsangebote der Fluggesellschaften zu verlieren.
Wer als erster beim Fahrgast ist, hat die höchsten Chancen, zusätzliche Einnahmen zu erzielen.
(Michael Garvens, ehemaliger Geschäftsführer des Köln Bonn Airport)
Der ehemalige Geschäftsführer des Köln Bonn Airport geht sogar noch weiter und schlägt eine engere Zusammenarbeit von Flughäfen und Fluggesellschaften vor, um Einzelhandelsangebote zu platzieren, wenn der Passagier sein Flugticket bucht.
Und während große Drehkreuze die kritische Größe haben, um eigenständig Multichannel-Angebote und Kundenbindungsprogramme wie „Frankfurt Airport Rewards“ zu implementieren, könnten für kleinere Flughäfen strategische Partnerschaften mit Einzelhändlern oder anderen Flughäfen die bessere Option sein, um die Digitalisierung voranzutreiben. Die „Passngr“-App der Flughäfen Hamburg, Düsseldorf und München beweist, dass eine Kooperation zwischen verschiedenen Flughäfen zu erfolgreichen Ergebnissen führt.
Alle Marktteilnehmer arbeiten an Strategien, um Kundendaten optimal zu nutzen, neue Liefer- und Zahlungsprozesse zu implementieren und den ersten Kundenkontakt zu realisieren. Wer wird das Rennen um die Einzelhandelsumsätze gewinnen?